Lernen statt Angst: Wie gesunde Fehlerkultur Zusammenarbeit und Motivation stärkt
Warum ist es in so vielen Teams noch immer so, dass Menschen lieber schweigen, anstatt Fehler offen anzusprechen?
Warum trauen sich Mitarbeitende nicht, ihre Ideen einzubringen — aus Angst, sich zu blamieren oder Kritik zu ernten?
Und warum glauben viele Führungskräfte noch immer, man müsse die Mitarbeitenden nur genug auf Fehler hinweisen, damit sie daraus lernen?
In meiner Arbeit mit Führungskräften begegnet mir dieses Thema immer wieder: Fehlerkultur verbessern und Vertrauen im Team aufbauen sind zentrale Anliegen — und gleichzeitig große Herausforderungen.
Oft fehlen die richtigen Ansätze, und es hält sich die falsche Vorstellung: „Man lernt am besten aus Fehlern.“
Doch wenn psychologische Sicherheit fehlt, führt das zu Angst, Schweigen und Blockaden — und im schlimmsten Fall zu krank machendem Dauerstress.
In diesem Artikel zeige ich auf, warum psychologische Sicherheit der Schlüssel für gesunde, resiliente und leistungsstarke Teams ist — und wie Führungskräfte Fehlerkultur und Zusammenarbeit im Team verbessern können.
Der Irrtum: „Man lernt am besten aus Fehlern“
In vielen Organisationen hält sich hartnäckig der Glaube: Fehler seien die beste Schule.
„Man muss die Leute eben spüren lassen, wenn etwas schiefgelaufen ist“ — dieser Satz fällt leider noch viel zu oft in Führungskreisen.
Doch was passiert in der Praxis?
- Vertrauen im Team sinkt, weil niemand weiß, wie auf Fehler reagiert wird
- Zusammenarbeit im Team verschlechtert sich, weil Menschen sich nicht mehr trauen, offen zu sprechen
- Fehlerkultur entwickelt sich rückwärts: Statt offen aus Fehlern zu lernen, werden Fehler verschwiegen
- Psychologische Sicherheit im Team fehlt — und das blockiert jede echte Entwicklung
Gerade in stressgeprägten Branchen oder Unternehmen mit stark hierarchischer Führung verstärken sich diese Effekte.
Das Resultat: Führungskräfte erleben wachsende Frustration, Motivation im Team sinkt — und wichtige Potenziale bleiben ungenutzt.
Wenn psychologische Sicherheit fehlt — was wirklich passiert
In einem Projekt, welches drohte zu scheitern, weil Anforderungen nicht erfüllt werden konnten, war ich als Coach und Beobachterin eingebunden.
Das Projektteam hatte die Aufgabe, ein neuartiges Bauteil für den Antrieb zu entwickeln — ein technisch anspruchsvolles Thema mit hoher Sichtbarkeit beim Kunden.
Im Laufe der Entwicklung traten jedoch technische Probleme auf: Der Kunde forderte bestimmte Leistungsmerkmale, die sich im vorgegebenen Rahmen nicht umsetzen ließen.
Was nun folgte, ist leider typisch für viele Unternehmen, in denen psychologische Sicherheit fehlt:
- Die Führungskräfte des Zulieferers scheuten sich, Entscheidungen zu treffen — aus Angst, Fehler zu machen oder dafür später verantwortlich gemacht zu werden.
- Meetings mit dem Kunden wurden gemieden, die dringend nötige Kommunikation unterblieb.
- Das Entwicklungsteam, das eigentlich engagiert arbeitete, erhielt keinerlei Unterstützung und keine Rückendeckung.
- Statt offen über die bestehenden Probleme zu sprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, entstand ein Klima des Schweigens und der Vermeidung.
- Der CEO selbst signalisierte in internen Meetings Desinteresse — er verfolgte die Gespräche kaum und beschäftigte sich demonstrativ mit „wichtigeren“ E-Mails.
Das Ergebnis: Der Kunde wurde immer unzufriedener, die Beziehung belastet, die Entwicklungskosten liefen aus dem Ruder — und ein Problem, das durch offene Kommunikation und entschlossene Führung hätte gelöst werden können, wurde zu einer handfesten Krise.
Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, was in Teams und Organisationen passiert, wenn psychologische Sicherheit fehlt:
Menschen ziehen sich zurück, Kommunikation bricht ein, Verantwortung wird vermieden — und das System blockiert sich selbst.
Was die Forschung zeigt
In ihrer wegweisenden Studie von 1996 zeigte Amy Edmondson, wie sehr ein Klima der Unsicherheit Lernprozesse und Zusammenarbeit hemmt. Teams, in denen Fehler und Unsicherheiten nicht offen angesprochen werden konnten, machten häufiger die gleichen Fehler, litten unter wachsender Frustration — und entwickelten kaum neue Ideen.
In den Jahren danach bestätigten zahlreiche Studien diese Mechanismen. Besonders eindrucksvoll belegt wurde dieser Zusammenhang im Rahmen von Googles internem Forschungsprojekt „Project Aristotle“.
Dabei untersuchte Google 180 Teams und identifizierte psychologische Sicherheit als den entscheidenden Erfolgsfaktor für Team-Performance – noch wichtiger als Fachwissen oder klare Strukturen.
In solchen Teams trauten sich Menschen, ehrlich zu sprechen, Fragen zu stellen, auch mit Unsicherheit sichtbar zu sein — und daraus gemeinsam zu lernen.
Eine große Meta-Analyse (Frazier et al., 2017) ergänzt dieses Bild: Psychologisch sichere Teams zeigen höhere Leistung, mehr Innovationskraft und besseren Zusammenhalt. Sie arbeiten gesünder und widerstandsfähiger — ein enorm wichtiger Faktor in Zeiten von permanentem Wandel und wachsendem Druck. In LinkedIn findet sich eine Zusammenfassung der Analyse.
Was möglich wird, wenn psychologische Sicherheit gelingt
Glücklicherweise gibt es heute viele positive Beispiele:
Wo es Führungskräften gelingt, ein Klima der psychologischen Sicherheit aufzubauen, verändert sich die Zusammenarbeit grundlegend.
In solchen Teams …
- wird über Fehler offen gesprochen — nicht, um Schuldige zu suchen, sondern um gemeinsam zu lernen
- bringen Menschen Ideen ein, die sonst nie sichtbar geworden wären
- trauen sich auch neue oder unsichere Mitarbeitende, Fragen zu stellen
- entsteht echter Dialog zwischen Führung und Mitarbeitenden, geprägt von Respekt und Vertrauen
Teams mit psychologischer Sicherheit lernen schneller, entwickeln sich dynamischer und arbeiten letztlich erfolgreicher.
Und: Die Belastung der Einzelnen sinkt — weil niemand sich permanent selbst schützen muss oder mit der Angst vor Gesichtsverlust arbeitet.
Gerade in der heutigen Arbeitswelt, die von Unsicherheit, Komplexität und Tempo geprägt ist, wird dieser Faktor immer wichtiger.
Psychologische Sicherheit ist kein „weiches Extra“ — sie ist das Fundament für gesunde, leistungsfähige Organisationen.
Fazit: Führen heißt Vertrauen schaffen
Für jede Führungskraft stellt sich damit die Frage:
Wie sicher fühlen sich meine Mitarbeitenden?
Gibt es in meinem Team wirklich Raum für Offenheit, für Fehler, für neue Ideen?
Oder herrscht — oft unbewusst — noch immer eine Kultur, in der Schweigen als sicherer erscheint als Reden?
Die gute Nachricht: Psychologische Sicherheit lässt sich entwickeln. Sie beginnt bei der Haltung der Führungskraft und wächst mit jedem Schritt, der Vertrauen schafft.
Sie ist kein „Programm“, sondern ein Prozess — der sich aber lohnt. Für alle Beteiligten.
Denn starke, gesunde Teams entstehen dort, wo Menschen sich zeigen dürfen.
Und das ist am Ende auch der Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg.