Das Dilemma der vielseitigen Interessen
„Hilfe, mich interessieren immer wieder neue Dinge – warum langweilen sie mich so schnell?“ Kommt Ihnen dieser Gedanke bekannt vor? Für viele Menschen mit einer sogenannten Scanner-Persönlichkeit ist das keine Ausnahme, sondern Alltag. Die Begeisterung für neue Themen flackert schnell auf, nur um kurze Zeit später von der nächsten spannenden Idee verdrängt zu werden. Dabei stellt sich oft die Frage: Ist diese Vielseitigkeit eine Ressource oder ein Hindernis?
In diesem Beitrag möchte ich den Blick darauf richten, warum wir uns so oft zwischen Neugierde und Fokus hin- und hergerissen fühlen und wie wir diese Dynamik bewusst gestalten können.
Was ist eine Scanner-Persönlichkeit?
Der Begriff „Scanner-Persönlichkeit“ beschreibt Menschen, die sich leidenschaftlich für viele verschiedene Themen interessieren, jedoch Schwierigkeiten haben, sich langfristig auf ein einziges Thema zu konzentrieren. Sie lieben es, Neues zu entdecken, zu lernen und sich ständig weiterzuentwickeln. Den Begriff prägte die Autorin und Coach Barbara Sher, die selbst eine solche Persönlichkeitsstruktur hatte.
Doch Achtung: Jede Einordnung von Persönlichkeiten ist letztlich ein Versuch, das Komplexe verständlicher zu machen. Sie ist kein starres Modell, sondern ein Faden, an dem wir uns entlanghangeln können, um unsere Einzigartigkeit besser zu verstehen.
Stell dir deine Persönlichkeit wie ein Puzzle vor. Jeder neue Gedanke, jedes neue Interesse fügt ein weiteres Teil hinzu. Das Bild ist nie „fertig“, sondern entwickelt sich ständig weiter – und genau das macht das Leben für Scanner-Persönlichkeiten so spannend.
Die Herausforderung: Fokus versus Vielfalt
Das Spannungsfeld:
Auf der einen Seite steht die unbändige Neugierde, die uns antreibt. Auf der anderen das Bedürfnis nach Struktur und Fokus. Dieses Spannungsfeld führt oft zu inneren Konflikten:
- „Bin ich zu sprunghaft?“
- „Warum verliere ich so schnell das Interesse?“
- „Werde ich je etwas wirklich zu Ende bringen?“
Unser Gehirn liebt es, neue Reize zu verarbeiten – das Belohnungssystem springt sofort an, wenn wir uns mit etwas Neuem beschäftigen. Gleichzeitig fällt es schwer, bei einer Sache zu bleiben, wenn der erste Reiz nachlässt.
Doch muss das überhaupt ein Problem sein? Vielleicht ist es an der Zeit, die Frage nicht in „richtig“ oder „falsch“ zu kategorisieren, sondern den eigenen Umgang mit dieser Dynamik zu reflektieren.
Ressourcen erkennen: Was tut mir gut, was schadet mir langfristig?
Nicht jede neue Idee ist ein Zeichen von Ablenkung, und nicht jede Routine bedeutet Stillstand. Die Kunst liegt darin, den Unterschied zu erkennen. Hier helfen ein paar Reflexionsfragen:
- Bringt mir diese Aktivität Energie oder raubt sie mir Kraft?
- Führt mich dieses Interesse zu neuen Erkenntnissen oder lenkt es mich nur von etwas ab, das ich vermeiden will?
- Wächst daraus etwas Nachhaltiges, oder ist es nur eine kurzfristige Ablenkung?
Manchmal ist der ständige Drang nach Neuem eine Flucht vor Unbehagen – zum Beispiel vor Langeweile, Versagensängsten oder der Angst vor Routine. Gleichzeitig kann genau diese Neugierde auch eine Quelle für kreatives Potenzial und persönliches Wachstum sein.
Strategien für den Umgang mit Vielseitigkeit
Das Portfolio-Prinzip:
Statt sich zu zwingen, „das eine Ding“ zu finden, betrachten Sie Ihre Interessen wie ein Portfolio. Sie müssen sich nicht entscheiden, sondern können verschiedene Projekte parallel oder in Phasen verfolgen.
Zyklus-Management:
Akzeptieren, dass Interessen in Zyklen kommen und gehen. Planen Sie bewusst Phasen der intensiven Auseinandersetzung mit einem Thema ein – und gönnen Sie sich dann den Raum, dich neuen Dingen zuzuwenden.
Reflexionsrituale:
Regelmäßige Check-ins mit dir selbst helfen, den Überblick zu behalten. Journaling, Coaching oder Gespräche mit Sparringspartnern können Ihnen helfen, Muster zu erkennen und bewusste Entscheidungen zu treffen.
Akzeptanz:
Der vielleicht wichtigste Punkt: Akzeptieren Sie, dass Unruhe Teil deiner Dynamik ist. Sie ist kein Fehler im System, sondern ein Ausdruck Ihrer Vielseitigkeit.
Coaching als Unterstützung
Coaching kann Ihnen helfen, Ihre Muster zu erkennen, Blockaden zu lösen und den roten Faden in Ihrem vielseitigen Leben zu finden. Dabei geht es nicht darum, sich auf eine Sache zu „fixieren“, sondern darum, Klarheit über Ihre Ressourcen zu gewinnen und Ihre Energie gezielt einzusetzen.
Beispiel aus der Praxis:
Mir ist neulich beim Coaching wieder das Thema begegnet, sich in der Vielfältigkeit zu verfangen. In dem Fall war es auch eine sogenannte „Scanner-Persönlichkeit“, aber dieses Thema betrifft nicht nur diesen Persönlichkeitstyp. Wir alle sind zahlreichen Einflüssen und Erwartungen ausgesetzt – sowohl von außen als auch von innen. Oft legen wir uns selbst strenge Bewertungen und Erwartungen auf, die uns unbewusst unter Druck setzen.
Zusätzlich funktioniert der Mensch nach dem Lust-Prinzip: Wir fühlen uns von Dingen angezogen, die uns Freude und Befriedigung verschaffen. Diese beiden Motivationen – der innere Druck, der uns zu Leistung antreibt, und die natürliche Anziehung zu lustvollen Aktivitäten – gilt es, in Balance zu halten.
Wenn wir natürliche Gefühle unterdrücken, baut sich innere Spannung auf, die sich oft körperlich manifestiert – in Form von Muskelverspannungen, Blockaden oder sogar Krankheitssymptomen, deren Ursache wir nicht immer direkt erkennen können.
Im Coaching arbeiten wir daran, eine Balance zwischen diesen beiden Motivationsquellen herzustellen. Es geht darum, Gefühle nicht zu unterdrücken, sondern sie bewusst und dosiert zuzulassen. Gleichzeitig lernen wir, lustvolle Aktivitäten entspannt zu genießen, ohne in Abhängigkeit zu geraten. Unterdrücken wir eine der beiden Motivationen, sucht unser Körper nach Wegen, das innere Gleichgewicht wiederherzustellen.
Coaching kann dabei helfen, diese Mechanismen zu verstehen, hinderliche Muster zu erkennen und neue Wege zu entwickeln, um mit der eigenen Vielseitigkeit und den damit verbundenen Herausforderungen konstruktiv umzugehen.
Der Weg ist kein Ziel, sondern ein Prozess
Alleine kann man oft nicht milde mit sich umgehen und verstrickt sich in Zweifeln und Selbsturteilen. Lernen Sie, Ihre Gedanken sich selbst gegenüber wohlwollend zu formulieren.
Sie müssen nicht ankommen – Sie dürfen unterwegs sein. Genauso wie jeder andere Mensch unterwegs in einem Lern- und Selbstfindungsprozess ist. Es geht nicht darum, sich festzulegen, sondern sich immer wieder bewusst zu entscheiden. Vielseitigkeit ist kein Makel, sondern ein Schatz.
Fragen Sie sich nicht, wo Sie „ankommen“ wollen, sondern: Wie möchte ich den Weg gestalten?